Dokumentation zur schulischen "Aufarbeitung" des Suizids von Gregor | ||
1.Erster Brief des Vaters an den Klassenlehrer
2. Zweiter Brief des Vaters an den Klassenlehrer 3. Gespräch mit dem Schulleiter, Forderung nach Einsicht in sämtliche Noten Gregors 4. Gespräch in der Schule Juni 2001, erste Fragen 5. Erweiterte Fragen von den Eltern an die Schule 6. Erster Brief der Schulbehörde an die Eltern (Kaschner01) 7. Von der Behörde umformulierte Fragen an die Schule (von Behörde "bereinigte" Version) 8. Erneuter Versuch der Eltern Antwort auf ihre Fragen zu erhalten 9. Runder Tisch am Kippenberg Gymnasium (ohne die Eltern) 10. Rundbrief des Elternbeirats vor den Sommerferien 2001 12. Brief des RA der Eltern an den Senator für Bildung 13. Erster Brief des Kippenberg Gymnasiums an die Behörde (Gerlach) 14. Zweiter Brief der Schulbehörde an die Eltern Lückert/Bruns01 15. Antwortschreiben des RA der Eltern an die Behörde 16. Erstes Gespräch mit Senator Lemke 17. Brief des Kippenberg Gymnasiums mit den Antworten auf die Fragen der Eltern 18. "Abschließender" Brief der Behörde mit den Antworten auf die Fragen der Eltern an die Behörde 19. TAZ: "von manchen totgeschwiegen" |
Dokument 1.Brief an den Klassenlehrer vom 13.1.2001Sehr geehrter Herr S. ich habe mir überlegt, die schriftliche Form für meine Anfrage zu verwenden, da ich sicherlich hierbei meine Überlegungen und Fragen klarer zum Ausdruck bringen kann. Es geht um das Ihnen sicherlich ganz vertraute Thema der Beurteilung von Schülerleistungen und deren Transparenz. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es nicht einfach ist, so ganz unterschiedliche Kinder und Jugendliche und deren Leistungen so zu bewerten, dass alle Seiten damit glücklich sind. Darum geht es mir auch nicht in erster Linie. Was mich interessiert ist die Tatsache, dass mein Sohn Gregor nach Hause kommt und ganz geknickt ist über die Tatsache, dass er eine wesentlich schlechtere Note für eine Leistung bekommen hat, als er sich das vorgestellt hatte. Nun ist die Selbsteinschätzung eine Sache, die objektive (oder subjektive) Beurteilung aus der Sicht des Lehrers eine andere. Aber es muss doch sicherlich ein ganz wesentliches Element bei der Notengebung sein, dass die Schüler mindestens dann, wenn sie die Arbeit zurückbekommen, die Kriterien erfahren und einsehen können, die zu ihrer Bewertung geführt haben. Wenn diese Kriterien nicht klar und verständlich sind, erfahren die Kinder eine Bewertung als Willkür, vor der man sich nicht schützen kann und die sie auch gar nicht angesprochen haben wollen, da sie sonst befürchten, es könne schlechte Auswirkungen wiederum auf sie und ihr angestrebtes gutes Verhältnis zu der Lehrperson haben. Konkret: Gregor hat eine dreibisvier für die Herbstmappe erhalten. Auf unserer Frage, was der Lehrer dazu gesagt habe, meinte Gregor sinngemäß "es habe eine Inhaltsangabe gefehlt und auch sei der Umschlag nicht gestaltet. Außerdem habe das Layout nicht den Ansprüchen genügt." Auf unsere Frage, was an der Mappe vom Gesichtspunkt des Deutschunterrichts nicht richtig war, konnte er keine Antwort geben. Nun hat er möglicherweise Ihre Ausführungen nicht richtig verstanden, hat vielleicht die entscheidenden Informationen aus Frust gar nicht hören wollen, aber ich muss sagen, auch wir konnten ihm da keine Antworten geben, die ihm diese Note hätten verständlicher machen können. Ich würde sie da ganz höflich bitten mir mitzuteilen, wie sie diese Arbeit benotet haben, damit ich dann die geforderte Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus auch erfüllen kann. Dazu kommt dann das zweite Beispiel, welches mir die Kriterienlage nicht gerade transparenter macht: die Klassenarbeit, die die Schüler letzte Woche nach Hause gebracht haben. Sie schreiben da folgende Aufgabe: (von dem Layout Ihrer Aufgabenstellung möchte ich erst gar nicht reden, aber sie ist kein gutes Vorbild für ein gefordertes Layout bei der Herbstmappe...) "Schreibe den Text, und verbinde dabei jeweils zwei Hauptsätze mit einer Konjunktion". Erster Fehler: Gregor hat keine Konjunktion verwendet, allerdings ist der Satz meiner Meinung nach so besser als mit einer Konjunktion. (vielleicht hätte man dann ein Semikolon nehmen müssen?) Zweiter Fehler: "eingang" ist klein geschrieben, ist klar. Aber: Warum kein Komma nach "schrecklich"? und ist "schrecklich" eine Konjunktion, oder nicht eher eine Interjektion? Ist das dann auch ein Fehler? (Aber stilistisch ist das doch ganz gut?) Die nächsten Sätze verknüpft er mit "weil" macht also daraus eine Unterordnung. Ist das noch im Sinne der Aufgabe? Zwei Hauptsätze hätten wohl hier mit "denn" verbunden werden müssen. Insgesamt schreiben Sie dann darunter Gregor habe zu viele Sätze mit "und" verbunden, aber ich muss Ihnen sagen, mir fiele es auch sehr schwer, bessere Konjunktionen zu finden unter der Maßgabe, dass es Hauptsätze bleiben müssen. Können Sie mir das deutlich machen? (Gregor schrieb in zartem Gelb Korrekturvorschläge, die Sie offenbar als Lösungsvorschläge nannten. Nun sind diese Vorschläge allerdings keine Bei- sondern Unterordnungen. Hat das Gregor wieder falsch verstanden? Zu Aufgabe 2: Hier stellte sich im Zusammenhang mit Ihrer Beurteilung der Aufgabe 1 die Frage, ob die Arbeit nach der neuen oder nach der alten Rechtschreibung (Interpunktion) beurteilt wurde. Noch ein Punkt: Insgesamt habe ich ausgerechnet, dass die eingekringelten Zahlen zusammen 23,75 Punkte ausmachen. Sie haben 28,25 hingeschrieben, auch da kann ich nichts erkennen, da ich die Gesamtanzahl der Punkte nicht kenne und Gregor sie mir auch nicht sagen konnte.
Ich möchte Ihnen auch sagen, dass ich volles Verständnis für Sie habe, bitte fassen Sie diese Äußerungen nicht als Kritik an Ihrer Arbeit auf, die ich insgesamt sehr schätze, aber es ist sicher in unser beider Interesse, wenn die Schüler einfach wissen, was los ist und nicht im Nebel der deutschen Grammatik. herumstochern müssen. Den entscheidenden Auslöser, dass Ich ihnen diesen Brief geschrieben habe, hatte ich dadurch, dass Gregor so unbestimmt sagte, ich solle sie nicht kontaktieren. Das können Sie und ich nicht zulassen, dass Schule und Elternhaus aus welchen Gründen auch immer nicht produktiv - und wenn es sein muss auch pingelig - miteinander zusammenarbeiten. mit freundlichen Grüßen und in der Erwartung auf weitere gute Zusammenarbeit Dokument 2Zweiter Brief des Vaters an den Klassenlehrer von Gregor vom 29.4.01(Dieser Brief wurde an alle Lehrer, bei denen Gregor schlechte Noten hatte versandt. Keiner dieser Briefe wurde beantwortet. Sehr geehrter Herr S. Wir haben von der Versetzungsgefährdung unseres Sohnes Gregor Kenntnis erhalten. Dabei ist Gregor in Ihrem Fach offenbar ebenfalls äußerst gefährdet. Wir bitten Sie um einen Gesprächstermin. Unsere Möglichkeiten für ein Gespräch sind: Dienstags und Donnerstags erste große Pause, wenn mehr Zeit eingeplant werden muss geht auch der Dienstag Nachmittag. Bitte seien Sie so freundlich und bereiten Sie für dieses Gespräch eine schriftliche Aufstellung der bisherigen Einzelnoten (schriftlich - auch Tests und mündlich) in Ihrem Fach vor und zwar des ersten und zweiten Halbjahres. Wichtig wäre auch eine Klärung der Schwerpunkte, in denen Gregor offenbar große Wissenslücken hat. Da wir bereits seit einiger Zeit Gregor zur Nachhilfe schicken, brauchen wir genaue Anhaltspunkte, wo Defizite besonders dringend aufgearbeitet werden müssen. Mit freundlichen Grüßen Dokument 3Nach Gregors Tod am 7. Mai 2001.Die Schule weist sofort jegliche Verantwortlichkeit am Tode Gregors von sich. Unsere Versuche Klarheit zu erlangen werden als Schuldzuweisung interpretiert, die Schule reagiert äußerst gereizt. Kein Lehrer, kein Vertreter der Schulleitung kommt, um persönlich mit uns zu sprechen. - Bis heute nicht. Wenige Tage danach gehen wir in die Schule, um den Schulleiter des Kippenberg Gymnasiums aufzufordern, uns alle Noten von Gregor zusammenstellen zu lassen. Eine Woche nach der Trauerfeier für Gregor bekommen wir auf unser Drängen hin tatsächlich die Noten von Gregor vom Schulleiter ausgehändigt. Wir vereinbaren ein Treffen mit Vertretern der Schule, um unsere schwer lastenden Sorgen und die Positionen der Schule miteinander auszutauschen. Die Aufstellung der Noten macht deutlich, dass sich Gregor gegenüber dem Vorhalbjahr verbessert hatte, dass der "blaue Brief" zumindest nach unserer Auffassung der Rechtslage hätte gar nicht verschickt werden dürfen. Inzwischen waren in der Schule noch mehr Dinge vorgekommen, die unser Vertrauen in die Schule weiter in Frage stellten. Besonders Indiskretionen im Zusammenhang mit Gregors Abschiedsbrief, den wir zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht in seiner vollen Länge kannten (die Kripo hatte ihn mitgenommen und dann im Kollegium des Kippenberg Gymnasiums zur Kenntnis gegeben - ein Kollege hat den Inhalt dann Schülern weitererzählt), hatte uns zutiefst verletzt. zurückDokument 4Am 5. Juni findet ein Gespräch mit dem Schulleiter, einigen Lehrern und Lehrerinnen, Elternvertretern und Vertretern der Behörde statt. Das Gespräch wird vom Pastor der Friedensgemeinde in Bremen moderiert, zu dem wir grosses Vertrauen haben. Um unsere drängensten Fragen zu dokumentieren haben wir einen Fragenkatalog mitgebracht, der als Grundlage des Gesprächs dient.Fragen an die Schule: Fragen an die Schulbehörde: Diese Fragen werden bei dem Gespräch andiskutiert, die Vertreter der Schulbehörde erscheinen sehr besorgt um den Zustand der Schule und wollen uns darin unterstützen, Klarheit auf unsere Fragen zu bekommen. Wir werden aufgefordert unsere Fragen zu päzisieren - innerhalb von 16 Stunden - . Das tun wir auch. Dokument 5Folgende Fragen werden von uns zusätzlich formuliert und bereits am nächsten Tag per Fax an die Schulbehörde und an die Schule weitergeleitet:1. Zur Rolle des Klassenlehrers generell: - Warum hat der Klassenlehrer keinen Kontakt zu den Eltern aufgenommen, obwohl sie im Gespräch am 5.2. 2001 ausdrücklich danach verlangten?
- Herbstmappe - Nach welchen Kriterien wurde die Herbstmappe beurteilt. Wie sind sie nach- und überprüfbar? 3. Englisch - Wann wurde der letzte Test, der mit 5 bei Gregor bewertet wurde geschrieben?, wann wurde er zurückgegeben? 4. Latein: - Wie wurde in der Lateinklasse die Binnendifferenzierung umgesetzt? 5. Mathematik - Wie verlief die Kommunikation zwischen dem Lehrer und Gregor? Der Lehrer sagte beim Elternabend, dass er Gregor mehr zutraut, als Gregor im Unterricht macht. Hat er versucht mit Gregor darüber zu sprechen? 6. Blauer Brief: - Wieso wurden mit den Eltern nicht darüber gesprochen (siehe oben)? Erster Brief der Schulbehörde an die Eltern Der Senator für Bildung und Wissenschaft Sehr geehrte Frau Cerna, sehr geehrter Herr Rothermel, ich möchte mich zunächst bei Ihnen bedanken, dass Sie den Mut aufgebracht haben, auf die schulische Aufarbeitung des Todes Ihres Sohnes zu bestehen. Soweit ich mich überhaupt in Ihre Lage zu versetzen imstande bin, muss dies eine enorme Belastung für Sie sein. Sie haben in Ihrem Brief, den Sie Herrn Lückert am Dienstag abend gegeben haben, Fragen an die Schule und an die Behörde gestellt. Wir haben das Gespräch unter anderem mit der Vereinbarung beendet, dass die Schule zunächst eine Stellungnahme zu der Entwicklung bis zum Tode Ihres Sohnes unter Einbeziehung noch von Ihnen direkt an die Schule zu richtenden Fragen bis zum kommenden Dienstag abgibt. Ohne dass dies ausdrücklich angesprochen worden ist, gehe ich davon aus, dass zumindest bis zu dieser Stellungnahme der Schule die Fragen in Ihrem Brief d.h. sowohl die an die Schule als auch die an die Behörde, nicht beantwortet werden sollen. Nach Eingang der Stellungnahme würde ich mich gerne wieder mit Ihnen in Verbindung setzen, um, unbeschadet der weiteren Vereinbarungen, die wir am Dienstag getroffen haben, gemeinsam mit der Schulleitung zu besprechen, wie wir konkret weiter vorgehen.
Ulrich Kaschner Von der Behörde "bereinigte" Fragen an die Schule Ulrich Kaschner Fragen an das Kippenberggymnasium zur Sachverhaltsaufklärung im Falle Gregor Rothermel 1. Ist es richtig, dass Herr Schröder die Beurteilungsunterlagen zur "Herbstmappe'" bzw. die Herbstmappe selbst bereits zum Schulhalbjahreswechsel vernichtet hat? Wenn ja, wie wollte er die Nachvollziehbarkeit seiner Beurteilungen anders gewährleisten? 2. Ist es richtig, dass Herr Schröder von den Eltern von Gregor am 05.02.01 gebeten worden war (und er dem zugestimmt hat), dass er sie über die Entwicklung Gregors informiert? Wie hat er diese Vereinbarung in das Klassenkollegium getragen? Ist es richtig, dass Herr Schröder vor der Verwarnung die Eltern von Gregor nicht mehr über die Entwicklung berichtet hat? Wenn ja, warum nicht? 3. Ist es richtig, dass zum Elternabend am 21.03.01 drei Lehrer eingeladen und nur einer (nicht der Klassenlehrer!) gekommen ist? Wenn ja, warum? 4. Wer hat über die Verwarnung entschieden? Wie wird darüber vorher beraten? Ist über die Leistungsentwicklung mit Gregor gesprochen worden (s. auch Erl. zu § 8 VersO)? Wenn ja, in welcher Form? 5. Entsprach die Wertung des Englischtestes den schulinternen Richtlinien? Trifft es zu, dass sie Fragen enthielten, die die Schüler nicht beantworten konnten, weil sie noch nicht Gegenstand des Unterrichts gewesen waren? Wenn ja, wie wurden die Antworten bei der Beurteilung gewertet/berücksichtigt? 6. Welche pädagogischen Gespräche wurden in der Klasse 7a mit Eltern und Schülern generell geführt, wenn die Leistungsentwicklung eines Schülers oder einer Schülerin zu Besorgnis Anlass gab oder sonst auffällig war? Die Fragen, die sich speziell auf Herrn Schröder beziehen (1 und 2), können und sollten nur von ihm beantwortet werden und über Herrn Gerlach (zumindest zunächst) nur an uns geleitet werden. Alle anderen Antworten sollte die Klassenkonferenz geben können. Dokument 8Erneuter Versuch der Eltern Antwort auf die Fragen an die Schule zu erhaltenSehr geehrter Herr Kaschner Der schulinterne "runde Tisch" Gespräch Runder Tisch Kippenberg 1. Was ist bisher getan worden?
(Schülersicht)
2. In welchen Bereichen müsste aus Ihrer Sicht etwas getan werden? 2.1. Eltemvorschläge:
2.2. LehrerInnen:
Womit wollen Sie nach den Ferien beginnen? Was? Wer? Dokument 10 Brief des Elternbeirat vor den Sommerferien Kippenberg - Gymnasium Liebe Eltern am Kippenberg Gymnasium! Der Freitod von Gregor Rothermel im Mai diesen Jahres hat uns alle - Schüler, Lehrer und Eitern - wie ein Blitzschlag getroffen und das Innenleben der Schule für einige Zeit gelähmt. Wir waren alle zusammen entsetzt und fassungslos, und es dauerte lange, bis wir daran gehen konnten, uns zu überlegen, ob und was sich im Lebensraum Schule ändern muß. Es haben unzählige Gespräche stattgefunden, teils unter Beteiligung von Behördenvertretern und unter der Moderation von Pastoren aus der Gemeinde, auch ein Gespräch von Elternvertretern mit einem Pastor der Notfallseelsorge, in dem der Wunsch nach diesem Brief aufkam. In besonderem Mitgefühl denken wir an Gregors Familie, deren Trauer und Verlust wir nicht lindern können. Aber wir können den Auftrag im nächsten Schuljahr erfüllen, das Miteinander und Füreinander an der Schule im Sinne unseres Schulprogrammes zu intensivieren. Es ist uns wichtig, im normalen Alltag und besonders in kritischen Situationen das Gespräch untereinander zu führen - zwischen den Eltern, mit unseren Kindern und zwischen Eltern und Lehrerschaft. Das soll auf kurzem und unkompliziertem Wege geschehen - in unserem gemeinsamen Interesse am Schulleben, in dem ein Wohlgefühl möglich sein soll. Mit den besten Grüßen und Wünschen für schöne Ferien grüßen wir Sie herzlich, für den Elternbeirat Dokument 11 Direkt nach dem Tod von Gregor hat die Schülervertetung des Kippenberg-Gymnasiums ein Trost- und Beileidsbuch für die Eltern ins Leben gerufen. Jede Klasse, die daran Interesse hatte, hat für die Elten eine oder mehrere Seiten gestaltet, mit Texten, Gedichten und Bildern. Viele Schülerinnen und Schüler haben ihre Gedanken darin zum Ausdruck gebracht, viele davon kannten Gregor kaum oder gar nicht. Irgendwann nach den Sommerferien wurde dieses Buch den Eltern überreicht. Es ist ein Buch der Schüler und nicht der Schule. Es wird für uns, die Eltern, immer ein Zeichen der Freundschaft und der Versöhnung sein. Erster Brief des Rechtsanwaltes an die Behörde vom 29.8.01Sehr geehrter Herr Kaschner, in vorstehender Sache zeige ich ausweislich der beigefügten Vollmacht an, dass ich die Interessen von Frau Cerna und Herrn Rothermel vertrete. Das Ziel meiner Beauftragung ist es, die Umstände im schulischen Leben von Gregor zu erhellen, die seinem Suizidentschluss vorausgingen. Hierbei ist bereits bei derzeitigem Kenntnisstand nicht auszuschließen, dass im Ergebnis der Sachaufklärung rechtliche Schritte eingeleitet werden müssen. Zum derzeitigen Befunde ist festzuhalten, dass hinsichtlich der Sachaufklärung die hierzu bestimmten Personen und Organe des Kippenberg-Gymnasiums sich schlicht entziehen. Nicht nur, dass dieses Verhalten die trauernden Eltern brüskieren und verletzen muss, wiederholt sich somit auf tragische Weise die offensichtliche Hilflosigkeit Gregors am Beispiel der Eltern. Diese forsche Ignoranz gegenüber den eigenen schulpersonellen wie fachdidaktischen Problemen muss im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten sofort beendet werden. Auch dürfte sonst die auf diese Art provozierte Vertuschungsvermutung mit jeder weiteren zeitlichen Verzögerung immer schwieriger zu entkräften sein Ich darf Sie daher im ersten Schritt zunächst bitten, gegenüber der Schule anhand des Ihnen bekannten Fragenkataloges dessen umgehende Beantwortung durch die betreffenden Lehrkräfte einzufordern. Bitte teilen Sie mir auch umgehend schriftlich mit, ob Sie sich hierzu in der Lage sehen und welches Prozedere sich Ihrer Ansicht nach hieraus entwickeln soll. Für Ihre Antwort habe ich mir eine Wochenfrist notiert und verbleibe bis dahin
Dokument 13erster Brief Kippenberg an Behörde Kippenberg - Gymnasium An den Senator für Bildung Sachverhaltsaufklärung im Fall Gregor Rothermel
nachdem ich Ihre Fragen bereits in der Sitzung in der Schulbehörde am 28. Juni mündlich beantwortet habe, fasse ich die Antworten im Folgenden verabredungsgemäß noch einmal schriftlich zusammen. 1. Die Herbstmappe hatte Gregor schon am 10.1.2001 zurückerhalten. Sie enthielt eine Beurteilung. Seine speziell auf die Mappen einzelner Schüler bezogenen Notizen hatte Herr Schröder zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Gregors Eltern am 5.2. 2001 bereits vernichtet. Die allgemeinen Kriterien, nach denen Herr Schröder diese Schülerarbeiten beurteilte, hat er mit Gregors Eltern besprochen. Er kann sie auch jetzt noch vorlegen. 2. Es gab nach dem 5.2. häufiger telefonische Kontakte zwischen Frau Cerna in ihrer Funktion als Klassenelternsprecherin und Herrn Schröder. Dabei fragte Frau Cerna nicht nach Gregors schulischer Situation, und aus Herrn Schröders Sicht gab es auch keine besonderen Vorkommnisse oder Enwicklungen, die er hätte ansprechen müssen. 3. Am Elternabend am 21. März waren anwesend Herr Schröder (Deutsch und Englisch) und Herr Sonntag (Mathematik). Ebenfalls eingeladen aber nicht anwesend waren Herr Giesewetter (Sport) ,und Frau Brost (Geschichte), die sich für ihr Fembleiben nachträglich entschuldigte. 4. Über Verwarnungen wegen einer Gefährdung der Versetzung beraten und beschließen am Ende des ersten Halbjahres die Zeugniskonferenzen. Dabei werden die Kriterien ausführlich erörtert. In unklaren Fällen wird die Entscheidung auf den Zeitpunkt 8 Wochen vor der Versetzungskonferenz verschoben. Zur Vorbereitung dieser "Nachverwarnungen" tragen die Lehrkräfte entscheidungsrelevante Veränderungen des Leistungsstandes der Schülerinnen und Schüler in Listen ein. Diese Listen wertet der Klassenlehrer aus und entscheidet aufgrund der bekannten Kriterien, in welchen Fällen eine "Nachverwarnung" erfolgt. In unklaren Fällen nimmt er Rücksprache mit dem Schulleiter. 5. Die Wertung des Englischtests entsprach den schulischen Richtlinien. 6. Generell wird in diesen Fällen in allen Klassen versucht, die Ursachen von Lernhemmnissen aufzudecken und Verbesserungsmöglichkeiten zu benennen. Wo es angezeigt ist, wird auch die Wahl einer anderen Schulart empfohlen.
Zweiter Brief der Schulbehörde an die Eltern vom 7.9.2001 Der Senator für Bildung und Wissenschaft Sehr geehrte Frau Cerna sehr geehrter Herr Rothermel, Herr Kaschner sicherte Ihnen zu, mit Herrn Schröder und Frau Kornberger nach den Sommerferien ein dienstliches Gespräch zu führen, "mit dem Ziel, möglichst schnell einen Abschluss in der Aufarbeitung dieses tragischen Einzelfalls herbei zu führen, um davon unbelastet die perspektivische Arbeit der Schule in Angriff zu nehmen" (Zität aus dem internen Gesprächsvermerk von Herrn Kaschner). Ich möchte Sie darüber informieren, dass ich in der kommenden Woche diese dienstlichen Gespräche führen werde. Erlauben Sie mir dabei bitte, noch einmal auch Ihnen gegenüber ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese Gespräche wie auch alle vorhergehenden Gesprächsrunden, die ich durchgeführt habe, keinesfalls zum Ziel haben und haben können, die Schuld an dem Freitod Ihres Sohnes zu klären. Ich hatte Sie allerdings auch bisher so verstanden, dass Sie dies nicht von mir erwarten. Es wäre vermessen, mir die Rolle eines Richters über Ursachen oder gar Schuld des Freitods eines Jugendlichen anzumaßen. Hierüber zu entscheiden ist in der Vielschichtigkeit der äußeren und inneren Einflüsse, denen Jugendlichen in Krisensituationen unterliegen, objektiv nicht möglich, schon lange kann und darf es nicht meine Aufgabe sein, insoweit auch nur den Versuch zu wagen. Ich betone dies deswegen noch einmal, weil zumindest unter den Lehrkräften des Kippenberg-Gymnasiums hier ein gravierendes Missverständnis zu bestehen scheint. Meine Aufgabe kann nur sein, in meiner Verantwortung für den Dienst der Lehrkräfte und für die pädagogische Arbeit der Schule einerseits auf eine angemessene pädagogische Reaktion der Schule zu achten, andererseits auch die Korrektheit dienstlichen Verhaltens einzelner Lehrkräfte zu hinterfragen und ggf. Konsequenzen zu ziehen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis, dass ich dies noch einmal klar gestellt habe. Auch werde ich dieses Schreiben der Schulleitung des Kippenberg-Gymnasiums zur Kenntnis geben, weil ich der Überzeugung bin, dass es sehr zur notwendigen Klarheit beiträgt.
Mit freundlichen Grüßen, im Auftrag Dokument 15Antwortschreiben des Rechtsanwaltes der Eltern vom 17.9.2001Sehr geehrter Herr Kaschner, ich habe inzwischen das Schreiben des Herrn Lückert aus der senatorischen Behörde von meiner Mandantschaft erhalten und darf hierzu folgendes bemerken: Die Lektüre des vorgenannten Schreibens hat mich dabei einigermaßen überrascht, sowohl hinsichtlich seiner Diktion als auch seines Inhaltes. Die von Herrn Lückert eingangs seines Schreibens zitierte Passage aus Ihrem Gesprächsvermerk fasse ich dabei als Prämisse Ihres aufsichtsrechtlichen Handelns auf. Die Problematik ergibt sich aus der dort niedergelegten Zweckbestimmung: Schneller Abschluss des tragischen Einzelfalles, um davon unbelastet die perspektivische Arbeit der Schule in Angriff nehmen zu können. Zunächst einmal ging und geht es nicht um schnellen Abschluss, sondern schnelle Inangriffnahme der fälligen Aufarbeitung. Gerade diese wurde von der Schule bisher nicht geleistet. Und was bedeutet in diesem Zusammenhang unbelastet? Dass gerade die Last bei allen schulisch Beteiligten vorhanden ist, zeigt doch die bisherige Reaktion. Dieser Last ist doch nur dadurch zu begegnen, als die konkreten Abläufe der Schule im Zeitraum der letzten Monate bis zum tragischen Suizid Gregors im Hinblick auf das tatsächliche Handeln der Beteiligten hinterfragt werden. Der Begriff Lebensraumes Schule aus dem Schulgesetz drückt dabei das Beteiligtenverhältnis treffend aus. Hierin liegt die nachwirkende Verantwortung der Schul- und Aufsichtsorgane, deren Wahrnehmung unabdingbare Voraussetzung auch einer möglichen Entlastung ist. Gerade wenn es so ist, dass sich Lehrkräfte unter Berufung auf die enorme Last dem zunächst über Konferenzen vorgesehenen Aufarbeitungsprozess entzogen haben, kann nicht im schnellen Abschließen, sondern im konkreten Sich-Stellen der Ausgangspunkt der perspektivischen Arbeit gesehen werden. Die Beteiligten müssen daher die in der gemeinsamen Rekonstruktion von Sachverhalten liegende Chance sehen und aufgreifen. Stattdessen werden bisher neue Sachverhalte konstruiert: Die in obigem Schreiben eingefügten langen Ausführungen über die Schuldfrage unterstellen einen Vorwurf, der von meiner Mandantschaft nicht geäußert wurde und gehen daher an der Sache vollständig vorbei. Insofern kann für dieses Klarstellen das reklamierte Verständnis nicht erwartet werden. Das gilt auch für die von Ihnen abgelehnte Richterrolle. Auch diese wurde selbstverständlich nicht von Ihnen erwartet. Hierin veranschaulicht sich aber das Bild der sich streitenden Parteien, wobei am Ende einer von beiden Recht zu geben ist. Auch dieses Bild geht an der Sache vorbei. Hier geht es vielmehr darum, im zusammenwirkenden Erziehungsprozess von Elternhaus und Schule sich seiner jeweiligen Verantwortung auch zu stellen. Hierzu dienen die Fragen, die meine Mandantschaft an die Schule gestellt hat. Sie angemessen zu beantworten, kann daher kein nachrangiges Interesse aller Beteiligten sein. Sollten sich im übrigen dienstrechtliche Konsequenzen aus der Sachverhaltsaufklärung ergeben, sind auch diese im Interesse der weiteren schulischen Entwicklung zu ergreifen. Schließlich muss sich die auch der Schule innewohnende Schutzfunktion an den Bedürfnissen seiner schwächsten Glieder orientieren. Das sind nicht die Lehrer. Letztlich macht das gesamte Schreiben an meine Mandantschaft keinen Sinn. Um die Eingangsbemerkung aufzugreifen, richtet es sich seinem Inhalt nach an das Kippenberg-Gymnasium, vermittelt über ein Schreiben an die Eltern. Es signalisiert dabei in problematischer Weise ein internes Einverständnis, die ‚leidige Angelegenheit schnellstmöglich vom Tisch zu bekommen. In der Hoffnung, dass dieser Eindruck trügt und unter Hinweis auf die Beachtung des bestehendes Mandats, verbleibe ich
Dokument 16Tagebucheintrag nach dem 1. Treffen mit Bildungsenator Lemke.Dieses Treffen wurde angeregt durch einen Besuch bei Dr. Heubrock, den wir wegen des Zusammenhanges von Legastenie und Hochbegabung befragten. Das Treffen mit Lemke heute war sehr merkwürdig. Er fragte als erstes ob Lückert dabei sein solle, wir sagten eher nein, denn Lückert habe ja auch schon durch seinen letzten Brief etwas Eigenartiges in diese ganze Angelegengheit gebracht. Lemke war total einverstanden. Eigentlich zeigte er sich als jemand, der sehr klar ist und auch zuhören kann. Er fragte nach, wo er etwas nicht verstand, verteidigte zwar auch die Schule, war aber völlig damit einverstanden, daß hier ein völliges Versagen vorliegt. Dokument 17Brief des Kippenberg Gymnasiums mit den Antworten auf die Fragen der Eltern vom 22.10.2001 - weitergeleitet an die Eltern am 20.11.2001 Kippenberg - Gymnasium An den Senator für Bildung Sachverhaltsaufklärung im Fall Gregor Rothermel Beantwortung der "Fragen an die Schule, nach dem Gespräch vom 5.6.2001" (Die Numerierung entspricht den Ziffern auf der beigefügten Kopie des Frage-Schreibens.) - (siehe Dokument 4 dieses Archivs - Der Verfasser) 1.1 Es gab mehrfach Gespräche zwischen Herrn Schröder und Frau Cerna in ihrer Eigenschaft als Elternsprecherin. Dabei ging es nicht um Gregor. Herr Schröder sah keine Veranlassung, da sich Gregors Situation nicht verändert hatte, und Frau Cerna stellte auch keine entsprechenden Fragen.
3.1 Ein Vokabeltest (Note: 5) wurde am 21.3. geschrieben und am 22.3. zurückgegeben; eine Klassenarbeit (Note: 5) wurde am 24.4. geschrieben und am 2.5. zurückgegeben.
Bremen, den 22.10.2001 gez. Gerlach Dokument 18Dritter Brief der Schulbhörde an die Familie (über RA) vom 14.11.01Gregor Rothermel Sehr geehrter Herr Rethmeier, in der Anlage <siehe Dokument 17> übersende ich Ihnen Antworten der Schule auf die Fragen der Familie Rothermel, die diese nach dem Gespräch am 5.6. in der Schule formuliert hat. Ich füge auch die Stellungsnahme der Schule (vom 24.7.) zu ergänzenden fachaufsichtlichen Fragen (vom 12.6.) bei. Eine Abklärung hat ergeben, dass es "grenzwertige" Klassenarbeiten in dem Sinne nicht gegeben hat, dass 1/3 oder mehr der Arbeiten mit mangelhaft oder schlechter beurteilt wurden. Die Abklärung der sich auf den Fachunterricht beziehenden Fragen ist damit nach meiner Auffassung ausreichend geleistet. Eine andere Einschätzung besteht seitens des Senators für Bildung und Wissenschaft in Bezug auf die Zusammenarbeit der Lehrkräfte, insbesondere des Klassenlehrers mit den Eltern und in Bezug auf die schulischen Verfahren bei einer gefährdeten Versetzung. Insbesondere hierüber habe ich daher in der Zwischenzeit mit dem Klassenlehrer und der Lateinlehrerin jeweils zusammen mit dem Schulleiter dienstliche Gespräche geführt. Ergänzend zu den o. g. schriftlichen Darstellungen der Schule haben diese Gespräche ergeben: 1. Der Klassenlehrer hat es versäumt, von sich aus die Eltern über Gregors Lernentwicklung zu informieren. In jedem Fall hätte er die Eltern in einem Gespräch über die bevorstehende Nachverwarnung informieren müssen, und zwar bevor er hierüber mit Gregor gesprochen hat.
3. Die Schule wird das Verfahren der Benachrichtigung über eine gefährdete Versetzung in der Weise ändern, dass sie die Eltern auch in Zweifelsfällen schon zum Halbjahrestermin über eine möglicherweise gefährdete Versetzung informiert und insbesondere notwendige "Nachverwarnungen" in jedem Falle im Rahmen eines Beratungsgesprächs mit den Eltern vermittelt werden. 4. Dabei ist weniger entscheidend die Förmlichkeit des Beschlussverfahrens einer Verwarnung, sondern vielmehr die umfassende Information der Eltern über Lerndefizite sowie über mögliche Hilfen und Unterstützung für den weiteren Lernprozess, weil das Ziel auch einer Nachverwarnung die Abwendung einer drohenden Nichtversetzung ist und nicht etwa ein Vertrautmachen der Eltern mit einer nicht mehr abwendbaren Wiederholung. Von daher ist es sinnvoll, das Verfahren der Nachverwarnung in die Obhut des Klassen-lehrers zu geben und es nicht an förmliche Beschlüsse zu binden. Dazu muss er sich ein möglichst vollständiges Bild machen über die Lernentwicklung der schwächeren Schüler. Im Zweifel kann und soll sich der Klassenlehrer vor einer Information der Eltern, wie auch bei Gregor geschehen, mit einem Mitglied der Schulleitung beraten. 5. Bei Gregor hat es im zweiten Schulhalbjahr keine dramatische Entwicklung der Lernsituation gegeben, vielmehr bewegten sich seine schulischen Leistungen weiter etwa auf dem Niveau, das bereits das Halbjahreszeugnis widerspiegelt. Letztlich hat sich der Klassenlehrer nach Beratung mit dem Schulleiter zu einer Benachrichtigung der Eltern entschieden, weil bis zu den Osterferien die für eine gesicherte Versetzung notwendige positive Entwicklung seit dem Halbjahreswechsel nicht eingetreten war. Nicht die Beurteilung Gregors Lernsituation zu diesem Zeitpunkt und die getroffene Entscheidung waren demnach falsch, sondern die vom Klassenlehrer gewählte Form und Abfolge der Information hierüber und vor allem die fehlende Kommunikation mit den Eltern in diesem Zeitraum. Über die o.g. dienstlichen Gespräche hinaus hat es eine Reihe weiterer Gespräche mit der Schulleitung gegeben, um die weitere Aufarbeitung mit der Schule - auch im Blick auf die von Ihren Mandanten aufgeworfenen Fragen - abzustimmen. Bei allem Verständnis für die schwierige Situation Ihrer Mandanten nach dem Freitod ihres Sohnes kann ich jedoch die sehr grundsätzlichen Einschätzungen und Voreinstellungen der Eltern nicht akzeptieren, die teilweise aus ihren Fragen an die Schulbehörde deutlich werden. Die Formulierung der Fragen vermittelt die Auffassung, die jetzige Lehrergeneration sei im Umgang mit den Kindern der unteren Klassen generell überfordert, sie hätte nichts mit den jungen ... Schülern gemein, seien verschlissen und würden neuen Herausforderungen lustlos begegnen und die Kinder einem sinnlosem Leistungsdruck aussetzen. Ich nehme allerdings Sorgen von Eltern ernst, die Arbeits- und Unterrichtssituation in Schulen sei durch eine Überalterung von Kollegien, Überlastung vieler engagierter Lehrkräfte bzw. fehlendem Engagement anderer, durch nicht schulstufengemäßen Einsatz von Lehrkräften, zu hohem Leistungsdruck infolge schlechter Lernbedingungen beeinträchtigt. Daher ist dem Kippenberg-Gymnasium eine externe Beratung und Unterstützung angesichts der hohen Arbeitsbelastung durch mehrere Entwicklungsaufgaben (weitere Entwicklung des Kunst- und Musikprofils; Entwicklung eines verkürzten gymnasialen Bildungsgangs; Qualitätsentwicklung der Abiturprüfung; Weiterentwicklung des Kurssystems der gymnasialen Oberstufe) fest zugesagt. Das Kippenberg-Gymnasium ist zudem eine der Schulen, deren Kollegium einen besonders hohen Altersdurchschnitt aufweist. Die Personalentwicklung der Schule findet daher in meinem Hause besondere Beachtung. In die Beurteilung der Gesamtsituation der Schule beziehe ich auch die vergleichsweise hohen Frequenzen der Lerngruppen vor allem in den unteren Jahrgangsstufen, in denen die Zusammenarbeit mit den Eltern in besonderer Weise erforderlich und zeitaufwändig ist, sowie die Überauslastung des gesamten Gebäudes ein. Es ist meine Absicht, vor allem durch ein erweitertes Angebot von Klassen im Umfeld der Schule das Kippenberg-Gymnasium in den nächsten Jahren zu entlasten. Zusammenfassend kann ich Ihnen und Ihrer Mandantschaft meine Entschlossenheit versichern, durch eine Reihe sehr konkreter schulbezogener Maßnahmen und durch konkrete behördliche Entscheidungen und Unterstützungsmaßnahmen eine positive Entwicklung des Kippenberg-Gymnasiums auf den beschriebenen Feldern zu erreichen. Mit freundlichem Gruß - Lückert -
Dokument 19Schulzeit - Bremer Schülerinnen TAZ extra 2001/2002 . November 2001"Von manchen totgeschwiegen"Der Selbstmord eines Mitschülers der siebten Klasse erschütterte die Schülerinnen und Schüler des Kippenberg Gymnasiums im Mai dieses Jahres. Wir haben - sechs Monate danach - mit Schülern gesprochen, um zu erfahren, wie an der Schule damit umgegangen wurde...
Dokument 20Zweites Gespräch mit Senator LemkeDas zweite Gespräch hatte zum Gegenstand, ob wir mit den Antworten der Schulbehörde zufrieden seien. Es war leicht und ebenso schwer, dies zu beantworten, selbstverständlich waren wir nicht damit zufrieden, wir wussten aber auch auf Grund der gemachten Erfahrungen, dass ein weiteres Insistieren genauso ins Leere laufen würde wie bisher. Der Senator war wieder sehr entgegenkommend, verstand unsere Position sehr gut, war aber selbst, wie er zugab, eher hilflos gegenüber dem behördlichen Zugriff. Die Behörde hatte Schreiben dem Senator gar nicht weitergeleitet, hatte an entscheidenden Stellen den Senator ungenau informiert. Der Senator bot uns ein drittes Gespräch an, aber für uns erschien so ein Kontakt nicht mehr hilfreich, hatte doch alles bisher keinen wesentlichen Wandel bewirkt. Das, was am Kippenberg-Gymnasium bisher geschah, war eher eine Farce, wirkliche Veränderungen hatte es nicht gegeben. Die allgemeine Hilflosigkeit gipfelte in der rhetorischen Frage des Senators, ob er den Schulleiter des Kippenberg-Gymnasiums feuern solle, und wir statt "ja" zu sagen, doch dieser Frage auswichen, weil sie genauso absurd erschien, wie alles andere zuvor. Wir hatten auch mit unserem Rechtsanwalt bereits erkannt, dass eine weitere gerichtliche Verfolgung dieser fürchterlichen Angelegenheit auch keinen Erfolg habe würde, da wir es waren, die nachzuweisen verpflichtet wären, dass das Versagen der Schule an Gregors Suizid schuld sei. Wie sollte das geschehen? Selbstverständlich gibt es kein Versagen der Schule. Alles was dort geschehen war, war völlig korrekt. Es gibt überhaupt keinen Anlass, die Schule in Frage zu stellen, niemand braucht dort zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dokument 21Horror Vacui - Gründung der Initiative "Peace Gregor" Oktober/Dez 2001Liebe Freunde, Es ist uns dabei klar geworden, dass es eine große Schwierigkeit bedeutet, Hilfe anzunehmen, von der wir (und Ihr vielleicht auch) gar keine Vorstellung haben, wie die aussehen könnte. Es ist uns bei allen Überlegungen immer wieder klar geworden, dass es unmöglich ist, irgendetwas zu "wissen" über Gregors Motive - keiner, aber auch gar keiner hatte die geringste Ahnung, dass Gregor diesen Schritt machen würde - aber dennoch: Verantwortliche gibt es. Sicher sind wir selbst da gefragt, wir haben uns mit aller Konsequenz über unser eigenes Tun hinterfragt, haben im besten Gewissen gehandelt, ganz sicher in Liebe und waren einfach zu blauäugig, zu vertrauensselig, als dass wir auch nur irgendeine Ahnung so ernst genommen, ja sie zugelassen hätten. Wir wollen dieses Schreiben auch so verstehen, dass wir Euch berichten, wie wir diese Verantwortlichkeit der Schule jetzt sehen, und dass man etwas unternehmen muss, um für die vielen, vielen anderen Schüler, denen es vielleicht ähnlich ergeht wie Gregor, etwas Sinnvolles aus dem unsinnigen Tod von Gregor ziehen zu können. Gregor war, wie ihr vielleicht wisst, hochbegabt, eine Veranlagung, die paradoxerweise auch zu großen schulischen Problemen führen kann. Gregor hatte diese seit der siebten Klasse. In Englisch, Latein und Mathe bekam er schlechte Noten, trotz Nachhilfe in Latein, trotz Konversationsübungen in Englisch. Dummerweise konnte er in der Nachhilfe alles, im Konversieren war er völlig fit und wir verließen uns auf seinen Willen, die Dinge richtig zu machen und darauf, dass der Klassenlehrer (Deutsch/Englisch) uns ja auf dem Laufenden halten wollte. Er kam am nächsten Morgen, er und Libuse brachten noch den kleinen Bruder Emil zum Bus, der ins Schullandheim fuhr, dann gingen Libuse und Gregor wieder nach Hause, sprachen noch eine Stunde darüber, dass wir das alles schon noch in den Griff bekommen werden, Es gab auch konkrete Pläne über Schulwechsel, er könne sich alles überlegen, was für ihn gut sei, wir würden das unterstützen. Ein paar Tage vorher war noch der Pastor der Friedensgemeinde bei uns gewesen, hatte mit Gregor über seine Taufe gesprochen, die er aus eigenem Antrieb - und auch nicht unbedingt im Einklang mit unseren Vorstellungen damals - erhalten wollte. Libuse hat ihn gefunden, hat die ganze Panik, die ganze Furchtbarkeit dieser grausamen Situation ungeschützt erfahren, ich kam zwei Stunden später nach Hause und habe den toten Gregor noch gesehen und die Wüste dieser unbegreiflichen Tat legte sich über uns wie ein alles verschlingender Sturm. Daneben versuchten wir die Verantwortlichkeit der Schule weiter zu hinterfragen, wollten die Noten von Gregor im Detail wissen, da wir immer noch nicht die Berechtigung dieses blauen Briefes nachvollziehen konnten, ganz abgesehen von der Vorgabe, bei solchen Entscheidungen die "gesamte Persönlichkeit" eines Kindes zu berücksichtigen. Dazu hatten wir eine Menge Fragen nach den Hintergründen, die alle in der konkreten Schulsituation von Gregor eine belastende Rolle gespielt hatten. Und unser Argwohn bestätigte sich sehr schnell: Von der Schule kam keine Antwort auf unsere brennenden Fragen. Zuerst waren die Lehrer psychisch so fertig, dass sie zu einer ernsthaften professionellen Arbeit nicht mehr in der Lage waren, Respekt vor unserem Leid drehten sie um in öffentliche Aussagen als seien wir diejenigen, die die Lehrer jetzt zu Opfer machten - "Heckenschützen" würden den Lehrern auflauern, wurde in einem Elternabend von einem beteiligten Lehrer geäußert. Dann wurde der Personalrat eingeschaltet, es hieß man könne dazu keine Antworten geben, man wisse ja nicht was aus diesen Antworten gemacht würde, in ihrer Not verfügte die Behörde, dass noch in den Sommerferien wenigstens der Schulleiter Rede und Antwort stehe solle. Doch was soll der sagen, wenn ihm die Lehrer keine Auskunft erteilen? Der Kern, eine klare Verantwortlichkeit, eine einklagbare Verantwortlichkeit der Schule gegenüber den Kindern und Jugendlichen und auch gegenüber den Eltern, den gibt es nicht. Immer wieder haben wir von Eltern gehört, wir finden das zwar sehr schlimm, was mit Gregor geschehen ist, aber wir können dagegen in der Schule nichts unternehmen, 'denn unsere Kinder gehen selbst auf diese Schule, und wer weiß was dann mit denen geschieht...', solche Aussagen müssen wir uns immer noch anhören - von ganz ernstzunehmenden Menschen, Menschen, die ihren Beruf ausüben, die über andere Menschen Verantwortung tragen, die ihr Leben im Griff haben - doch vor der Schule kapitulieren sie, werden zu Handlangern, zu Angsthasen und zu Kuschern. Das hat Schule aus uns allen gemacht. Und ein hochsensibler Junge, voll von Gerechtigkeitssinn, der diesem Leben sich hingeben wollte, der hat den Tod vorgezogen, als diese Verlogenheiten weiter ertragen zu müssen. Und fast alle - auch ich - habe in dieser Verlogenheit mit drin gesteckt. Nein, ich stecke immer noch mit drin. |