Wir schlagen vor, zum aktuellen Thema für die nächsten zwei Monate die Frage zu machen, welche Vor- und Nachteile die 6-jährige Grundschule ihrer Meinung nach für Bremen und für die BRD hat. Es gibt dazu bereits eine umfangreiche Diskussion. Die Bremer SPD diskutiert diese Schulform einzuführen, die CDU allerdings ist entschieden dagegen ("sozialistische Experimente"...). Innerhalb Europas ist die Bundesrepublik eine eher einsame Insel - sehr viele Länder haben bereits die 6-jährige Grundschule (oder noch länger) eingeführt, bzw. praktizieren diese mit Erfolg seit langen Jahren.

Wenn Sie an dieser Diskussion teilnehmen wollen, dann benutzen Sie bitte das Forum, von dort aus wird Ihr Beitrag in dieses Fenster gestellt.

 

Zähes Ringen um die Bildungspolitik

Schwierige Verhandlungen / Mehr Geld für Lemke?
Von unserem Redakteur Bernd Schneider (Weserkurier Bremen, 13.6.2003)

In den Koalitionsverhandlungen ist das Gerangel um die Bildungspolitik voll entbrannt. Klar Ist nach PISA und dem beschlossenen Aus für die Orientierungsstufe: Wichtige Weichen müssen gestellt werden. Umstritten ist nur noch die Richtung. Dabei scheinen CDU und SPD nach wie vor genau entgegengesetzte Ziele zu verfolgen. Heute wollen sie unter anderem in der Bildungspolitik weiter verhandeln.
Sechs Jahre Grundschule, nahtloser Übergang in die Integrierten Stadtteil- (also: Gesamt-)schulen, die nach und nach weiter ausgebaut werden sollten. Mit solchen Vorstellungen war SPD-Bildungssenator Willi Lemke ursprünglich in die Verhandlungen gegangen. Bei seinem Budget - es besteht zum großen Teil aus Personalkosten - wollte er zudem die Fünf-Prozent-Sparquote, zu der alle Ressorts verdonnert werden sollen, nicht erfüllen. Bildung, das hatten nicht nur Bildungspolitiker vor der Wahl versprochen, sollte schließlich Schwerpunkt der Regierungsarbeit in der kommenden Legislaturperiode werden.
Doch schnell zeigte sich: Mit CDU-Landeschef Bernd Neumann, zentraler Verhandlungspartner in Sachen Bildung, war das so nicht zu machen. Schon in ersten Gesprächen - noch vor Pfingsten - hatte der studierte Lehrer, der 1966 bis 1971 selbst in Bremens Klassenzimmern unterrichtete, das unmissverständlich deutlich gemacht.
Nachdem der Christdemokrat die SPD-Positionen versenkt hatte, tauchten bald neue Vorschläge der Sozialdemokraten auf - und die hauten vor allem die eigenen Leute vom Hocker: In einem Papier, das den Verhandlungspartnern sowie den SPD-Bildungsdeputierten vorgelegt wurde, war auf einmal von der sechsjährigen "Basisschule" (Grundschule) nicht einmal mehr die Rede. Dafür tauchten dort finanzielle Forderungen auf politische Kreise berichten von 40 bis 50 Millionen Euro zusätzlich für die Bildung. SPD-interne Kritiker warfen Lemke daraufhin vor, Inhalte für Geld geopfert zu haben. "So etwas hätte nicht einmal am Ende der Verhandlungen stehen dürfen", murrten die eigenen Leute daraufhin und sprachen von einem "schweren strategischen Fehler". Gestern bis in den späten Abend saßen die SPD-Leute zusammen, um unverzichtbare Positionen festzuklopfen und politische Kompromissfelder zu umreißen.Bei allem Ringen um sozialdemokratische Grundpositionen: Die sechsjährige Basisschule wird es in dieser Legislaturperiode wohl eher nicht geben - zumindest nicht als flächendeckenden Ersatz für die auslaufende Orientierungsstufe. Das zeigen klare Signale aus beiden Parteien. An einem "Einstieg" in das Modell, so scheint es, werden die Verhandlungspartner aber auch nicht herumkommen. Informierte Kreise gehen davon aus, dass es weitere "Modellschulen" geben wird - zusätzlich zu den beiden bereits vorhandenen in Grambke und Hastedt.
Obwohl Lemke offenbar mit Klauen und Zähnen - selbst gegen den Widerstand von SPD-Bürgermeister Henning Scherf - um mehr Geld für sein Ressort ringt, wird auch er um Sparvorschläge nicht herumkommen. Im Gespräch sind unter anderem Streichungen bei den Zulagen für Lehrer sowie das Aus für Zwergschulen und weitere einzügige Zweige an Schulzentren.

 


SPD sucht nach der eigenen Handschrift

Kritiker verfolgen Bildungskompromisse mit Sorge
Von unserem Redakteur Bernd Schneider (Weserkurier Bremen, 18.6.2003)

Nach den schulpolitischen Beschlüssen der Koalition rumort es in der SPD. "Enttäuscht", "über den Tisch gezogen" - solche Begriffe fallen auch unter Abgeordneten. Als schwere Niederlage gilt Kritikern, dass nun schon nach vier Schuljahren entschieden wird, welche Schulform Schüler besuchen. Der ausgehandelte Kompromiss - bis zu sechs von über 70 Grundschulen wären dann sechsjährig - erscheint ihnen halbherzig. Einer von etlichen Kommentaren: "Das ist doch ein Witz."
Gemeinsamer Unterricht für alle bis zur Klasse sechs - das habe nun "in der Fläche" praktisch keine Chance mehr, sich durchzusetzen. "Dann sollte man lieber ganz darauf verzichten", murrt ein Abgeordneter.
Inzwischen bangen Teile der SPD schon um zwei weitere Säulen ihrer Bildungspolitik: Die Integrierten Stadtteilschulen (Gesamtschulen) und Kindergärten als Bildungsstätten. Ihre Sorge: Bisherige Verhandlungsergebnisse werden durch die Hintertür ausgehebelt - bei den derzeitigen Verhandlungen über die Finanzen.
Denn nur auf dem Papier sind die Gesamtschulen bislang gesichert. Als Dreh- und Angelpunkt für deren Qualität gilt allerdings ihre finanzielle Ausstattung. So werden etwa die Klassen kleiner gehalten. Seit Jahren drängt die CDU hier auf Gleichbehandlung mit anderen Schulformen. Dann aber, so Kritiker, würden die Gesamtschulen für Eltern uninteressant, würden nicht mehr angewählt und langsam ausbluten. "Die relative Besserstellung muss bleiben" , fordern daher Sozialdemokraten wie der Abgeordnete Frank Pietrzok. "Sonst besteht die Gefahr, dass überhaupt nichts mehr übrig ist von sozialdemokratischer Bildungspolitik."

 

Schule wird mehr zur Elternsache

Bildungssystem soll flexibel reagieren / sechsjährige Grundschule nur als Modell
von unserem Redakteur Bernd Schneider (Weserkurier Bremen, 15.6.2003)

Der Bauplan für Bremens Bildungssystem liegt vor. Es war "die größte Meisterleistung bei den Koalitionsverhandlungen", bilanzierte gestern CDU-Landeschef und Verhandlungsführer Bernd Neumann. Und sein Gegenüber, der SPD-Landesvorsitzende Detlev Albers, zeigte sich "ein bisschen stolz, dass das mit der CDU geglückt Ist".Das Schulsystem der Zukunft soll langfristig flexibel auf Elternwünsche reagieren. Albers: "Der Wille der Eltern wird gestaltendes Element." Schulformen, die verstärkt angewählt werden, können mit dem Ausbau rechnen, Schulformen mit sinkender Nachfrage mit Schließungen. Neumann: "Wir haben ein System, in dem die verschiedenen Wünsche der Eltern berücksichtigt werden." Selbst in einer künftig denkbaren Koalition mit der FDP würde er an diesem Prinzip festhalten wollen. Das Nebeneinander von Gesamtschulen auf der einen Seite und Haupt-/Realschulen sowie Gymnasien auf der anderen Seite bleibt also bestehen - es wird künftig sogar betont.
Die Grundzüge der Beschlüsse im einzelnen: Nach dem Aus für die Orientierungsstufe (Klassen fünf und sechs) zum Schuljahr 2004/05 entscheiden Eltern künftig schon nach Klasse vier, wie es mit ihren Kindern weitergeht. Gestützt auf Empfehlungen der Grundschule wählen sie eine von vier alternativen Schulformen. Im Angebot sind künftig zehn Gesamtschulen ("Integrierte Stadtteilschulen" , davon drei neu), sieben durchgängige Gymnasien, rund 15 (von derzeit 27) gymnasialen Abteilungen an Schulzentren und ebenso viele Haupt-/ Realschulen an den Schulzentren.
Die sechsjährige Grundschule wird damit nicht Regelfall. Die beiden Modellversuche bleiben aber erhalten, bis zu vier weitere kommen hinzu. Verbindlich für alle übrigen Schüler wird die Verlässliche Grundschule (Unterricht und Betreuung von 8 bis 13 Uhr).
Aus vierjährigen Grundschulen können - Elternwille vorausgesetzt - demnächst komplette Klassenverbände in Gesamtschulen wechseln. Was den Klassenzusammenhalt angeht, entspricht dies einer gemeinsamen Schulzeit bis Klasse zehn - oder bis zum Abitur: An insgesamt drei Gesamtschulen werden erstmals Oberstufen eingerichtet, wo spätestens nach Klasse 13 das Abitur abgelegt wird, ein Jahr später als im Regelfall.
Die bereits beschlossene Einschränkung des Elternwillens zur Wahl der Schulart bleibt. Auf Schulempfehlung wird nach Klasse sechs erneut entschieden, ob ein Schüler das Gymnasium besucht oder die verbundene Haupt-/Realschule. Im Konfliktfall mit den Eltern entscheidet ein Test.
Haupt- und Realschüler werden künftig zunächst gemeinsam unterrichtet. Erst in Klasse sieben trennt man sie - abhängig von ihrer Leistungsfähigkeit - in einzelnen Fächern. In Klasse neun und zehn trennen sich die Schulzweige dann ganz. "Ein Kompromiss" sei dieses Ergebnis, so Neumann, aber alles andere als ein fauler. Beide Partner fänden sich mit ihren verschiedenen Zielsetzungen wieder. Bremens künftiges Schulsystem trage zudem den verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen sowie dem Elternwillen Rechnung. Es sei "kompatibel mit Niedersachsen", komme den Ansprüchen von Schülern mit besonderen Begabungen entgegen, biete aber auch gemeinsame Schulen für alle Schüler.
Auch Albers zeigte sich zufrieden mit dem achtseitigen Kompromiss-Papier: Es habe keine "Partei-Egoismen" gegeben. Herausgekommen sei ein Schulsystem, in dem die Sozialdemokratie sich in ihren Grundauffassungen wiederfinde - das Streben nach "gleichen Bildungschancen" und der "Abbau sozial bedingter Nachteile".

 

SPD scheitert mit Grundschulkonzept

Koalition legt Beschlüsse zu Bildung und Kitas vor
Von unseren Redakteuren Bernd Schneider und Christian Dohle (Weserkurier Bremen, 15.6.2003)

Bremen. Nach zähem Ringen haben sich CDU und SPD gestern auf einen gemeinsamen Kurs in der Bildungspolitik geeinigt. Beide Landeschefs, Detlev Albers (SPD) und Bernd Neumann (CDU), werteten den Kompromiss auf diesem politisch schwierigen Parkett als Meisterstuck der bisherigen Koalitionsgespräche.
Künftig sollen in Bremen die von der SPD bevorzugten Gesamtschulen und das von der CDU favorisierte gegliederte System mit Haupt-/Realschule sowie Gymnasium gleichwertig nebeneinander stehen. Je nach Wahl der Eltern werden diese Formen künftig weiter aus- oder zurückgebaut.
Nach dem bereits im Herbst beschlossenen Aus für die Orientierungsstufe fällt die Entscheidung über die gewünschte Schulform künftig nach Klasse vier. Nach Klasse sechs wird sie überprüft. Ihren Wunsch nach der sechsjährigen Grundschule konnte die SPD nur für vier Modellstandorte durchsetzen. Regelfall wird die verbindliche Teilnahme an der Verlässlichen Grundschule bis Klasse vier. Daneben verschmelzen Haupt- und Realschule bis Klasse acht.
Zudem haben sich SPD und CDU darauf verständigt, die städtischen Kindergärten aus dem Amt für soziale Dienste auszugliedem und in eine eigenständige Rechtsform zu überführen. Eine gemeinnützige GmbH sei dabei aber nicht im Gespräch, versicherte Sozialstaatsrat Arnold Knigge, der einen kommunalen Eigenbetrieb favorisiert. Die derzeit gut 70 Einrichtungen erhielten dank dieser Umstrukturierung eine höhere Flexibilität, mehr Entscheidungsbefugnisse und ein eigenes Budget. Sparen lässt sich bei dieser Umstrukturierung aber offenbar nichts. Man hoffe, dass man mit dem bestehenden Etat hinkomme, sagte Knigge.
Im Gespräch ist zudem, die 13-Uhr-Plätze auszuweiten und zumindest stellenweise Zweitkräfte zu beschäftigen, doch könnten beide Vorhaben an der schlechten Haushaltslage der Stadt scheitern. Gleiches gilt für das von der CDU gewünschte beitragsfreie dritte Kindergartenjahr, für das der Finanzsenator immerhin etwa 3,5 Millionen Euro bereitstellen müsste.
Siehe auch Kommentar "Was ihr wollt"

 

Kommentar

"Was ihr wollt"

Bernd Schneider (Weserkurier Bremen, 15.6.2003)

Einfach und überschaubar ist Bremens Schulsystem schon lange nicht mehr. Selbst Fachleute kommen ins Stottern, wenn sie den über Jahrzehnte in immer neuen Koalitionen gewachsenen Flickenteppich erläutern sollen.
Ein Schulsystem aus einem Guss, von dem mancher geträumt haben mag - das haben auch die Koalitionsverhandlungen nicht gebracht: Das Abitur legen Bremer nach zwölf oder 13 Jahren ab, die Grundschule besuchen sie vier oder sechs Jahre, entsprechend früh oder spät fällt die Entscheidung über die passende Schullaufbahn. Gesamtschulen werden ausgebaut und einige mit eigenen Oberstufen sogar noch aufgewertet - und erstmals können Schüler auch ohne Umweg aus der vierten Klasse direkt in ein durchgängiges Gymnasium wechseln. Ganz nach Bedarf und Geschmack.
Ein Schulsystem aus einem Guss - das konnte allerdings auch niemand ernsthaft von der großen Koalition erwarten, nachdem CDU und SPD so unterschiedliche Konsequenzen aus PISA und der nationalen Ergänzungsstudie gezogen hatten: Die SPD schaute in die weite Welt - Skandinavien, England, Australien, Japan - und erblickte überall erfolgreiche Gesamtschulen. Die CDU fragte sich, wozu in die Ferne schweifen, wenn doch die Bayern mit ihrem streng gegliederten System auch nicht viel schlechter abschneiden.
Die Entscheidung für das Schulsystem der Zukunft konnte die Politik nicht fällen. Sie hat sie Eltern und Schülern anheim gestellt. Das Versprechen dahinter: Wir geben euch die Schulen, die ihr wählt. Genau daran muss die Koalition sich nun messen lassen.

 

Schulbeschlüsse unter Beschuss

Grüne rufen ironisch nach einem CDU-Bildungssenator
Von unserem Redakteur Bernd Schneider (Weserkurier Bremen, 19.6.2003)

"Auch wenn die SPD einige ihrer Symbole gerettet hat - die CDU hat sich mit ihrem bildungspolitischen Ansatz auf breiter Front durchgesetzt." Mit diesen Worten kritisiert die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Anja Stahmann, die jüngsten Koalitionsbeschlüsse zur Bildung. Nun sei es "nur konsequent, wenn die CDU das Bildungsressort übernimmt".
Die soziale Herkunft bestimme künftig noch stärker die Schullaufbahn, als PISA das ohnehin für Bremen festgestellt habe, so Stahmann. Da nun nach Klasse vier über den Zugang zu Haupt-/Realschule oder Gymnasium entschieden werde, steige der Leistungsdruck an Grundschulen. International habe sich die frühe Trennung von Schülern als "Verlierermodell" erwiesen.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet, die CDU habe ihre zentralen Forderungen durchgesetzt. Für den Besuch des Gymnasiums ab Klasse fünf habe sie "28 Jahre gekämpft", so GEW-Landesvorstandssprecher Jürgen Burger. Damit sei die "folgenschwere" Entscheidung gefallen, den gemeinsamen Schulbesuch bis Klasse sechs aufzugeben.
An den erwarteten zehn bis zwölf Schulzentren ohne den bislang einzügigen Gymnasialzweig werde zudem eine "Schulform wieder eingerichtet, die es in Bremen seit 1975 nicht mehr gibt: die Volksschule." Das sei "hinterwäldlerisch". Die Verhandlungsergebnisse der SPD - drei Schulzentren werden Integrierte Stadtteilschulen (Gesamtschulen), bis zu vier sechsjährige Grundschulen - sieht Burger als "Trostpflaster.
Die FDP dagegen lobte die Koalitionsbeschlüsse als "gleichberechtigten Wettbewerb zwischen dem dreigliedrigen und dem Gesamtschulsystem". Schulen müssten allerdings stärker als bisher selbstständig Lehrer anstellen und Geld verwalten können.